Auch Bereitschaftspflegeeltern sind nicht machtlos!

„Bindung ist für das Überleben eines Menschen so grundlegend wie etwa die Luft zum Atmen, Ernährung, und Schlaf“ (Karl-Heinz Brisch im Vortrag vor dem 17. Deutschen Familiengerichtstag 2007). Es ist für die geistige, seelische und körperliche Entwicklung eines Kindes riskant, vorhandene Bindungen zu unterbrechen. Denn stabile Bindungen sind einer der wichtigsten Bausteine für eine gesunde kindliche Entwicklung. Das ist durch wissenschaftliche Forschung gut abgesichert. Stabile Bindungen beeinflussen die Entwicklung der Persönlichkeit und vor allem das soziale Verhalten des Kindes und machen es nicht nur fähig zu Mitgefühl, sondern ermöglichen es ihm auch, später als erwachsene Person gute Bindungen zu den eigenen Kindern einzugehen. Die Qualität der Bindung wird von einer Generation zur nächsten weitergegeben.

Kinder sind auf stabile Lebensverhältnisse angewiesen. Sie benötigen Geborgenheit und Kontinuität. Daraus ergibt sich für die Jugendhilfe die logische Konsequenz, dass Kinder, die bei ihren biologischen Eltern nicht bleiben können, schnell und auf Dauer in einer Familie untergebracht werden sollten, damit sie dort neue – heilsame – Bindungen eingehen können.

Leider sieht die Praxis anders aus.

Zu viele Babys und Kleinkinder werden vorübergehend in Bereitschaftspflegefamilien untergebracht. Diese vorläufigen Unterbringungen dauern oft länger als ein halbes Jahr, manchmal sogar 2 Jahre. Schon nach wenigen Monaten entwickeln die Kinder aber Bindungen an ihre Bereitschaftspflegeeltern, so dass die Übersiedlung in die Dauerpflegefamilie für die Kinder eine erneute Trennung aus Bindung ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich viele der Pflegekinder von dieser erneuten Trennung nicht erholen. Manche Kinder entwickeln aber auch aufgrund der mangelnden Bindungsbereitschaft der Bereitschaftspflegeeltern eine Bindungsstörung.

Alle Humanwissenschaftler stimmen überein, dass die Trennung eines Kindes von seinen Bindungspersonen ein gravierendes Risiko für seine Entwicklung ist, die unabsehbare gravierende körperliche und seelische Folgen nach sich zieht. Allgemein wird eine besondere Trennungsempfindlichkeit für Kinder zwischen etwa sechs Monaten und sieben Jahren konstatiert, mit einer hochsensiblen Phase zwischen sechs Monaten und drei Jahren (Großmann/Großmann, in: „frühe Kindheit/die ersten sechs Jahre Trennung und Verlust in den ersten Lebensjahren“ Heft 2/2015 S.8; Fegert/Kliemann, Das Verständnis von Bindung in Entwicklungspsychologie, Entwicklungspsychopathologie und Familienrecht Zirkelschlüsse und Missverständnisse, in: Familie – Recht – Ethik, Festschrift für Gerd Brudermüller zum 65. Geburtstag München 2014, S. 183, 184; Zenz, Die spezifische Bedeutung von Bindung und Trennung für das Kindeswohl, in: Salgo/Zenz/Fegert/Bauer/Weber/Zitelmann, Verfahrensbeistandschaft, Ein Handbuch für die Praxis, 3. Auflage, 2014; Dettenborn, Zwischen Bindung und Trennung – Die Kindesherausgabe aus psychologischer Sicht, FPR 1996, 76).

Deshalb sollten die Verantwortlichen, Jugendämter, freie Träger und Einzelvormünder dafür Sorge tragen, dass zumindest kleinere Kinder ganz schnell in Pflegefamilien untergebracht werden, in denen die Option des dauerhaften Verbleibs möglich ist. Es gibt Jugendämter, die über sehr viele potentielle Pflegefamilien verfügen, und deshalb in der Lage sind, kleine Kinder innerhalb von wenigen Tagen so unterzubringen, dass die Kinder dort bleiben könnten. Viele Jugendämter wandeln, auch ohne zu zögern, eine Bereitschaftspflege nachträglich in eine Dauerpflege um, wenn sich später zeigt, dass ein Kind entgegen früherer Annahmen doch nicht zu seinen biologischen Eltern zurückkehren kann.

Es ist schlicht falsch, dass Bereitschaftspflegeeltern, Außenwohngruppen von Kinderheimen oder Erziehungsstellenfamilien nicht berechtigt seien, beim Familiengericht einen Verbleibensantrag für ihr Pflegekind zu stellen.